Hintergrund
Hintergrund zum Apples & Olives Indie Classical Festival Zürich.
"But when I look at the most hopeful signs of the future, they lie precisely in the new repertoire and new kinds of ensembles that are being developed - Bang on a Can and its descendants, the New Amsterdam label's group of composers and performers, Claire Chase and ICE, and the list goes on. A lot of the most vital new music these days is reaching out to younger listeners by blurring lines, incorporating different traditions and instruments."
Anne Midgette, Washington Post Chief Classical Music Critic, January 30, 2014
„One possible destination for twenty-first-century music is a final „great fusion“: intelligent pop artists and extroverted composers speaking more or less the same language“
Alex Ross, „The Rest Is Noise“, 2007, p. 590
"Lately it's become hard to even tell an indie rock musician and a composer apart."
Jayson Greene, Pitchfork, "The Emergence of Indie Classical", February 28, 2012
Ars Nova, Monteverdi, Rossini, Paris 1910, Indie Classical von Etienne Abelin, Co-Kurator A&O, Gründer classYcal Netzwerk
„Der amerikanische Musikpublizist Alex Ross schreibt in seinem gefeierten Buch „The Rest is Noise“: „Seit Jahrhunderten wird über die Vorzüge des Rückzugs aus oder Teilnehmens an der Welt gestritten. Im 14. Jahrhundert erregten die Komponisten der Ars Nova Widerspruch, weil sie weltliche Melodien in die Messe einführten. Um 1600 klang Monteverdis kraftvoll-melodischer Stil in den Ohren seiner Zeitgenossen, gewöhnt an die geregelte Polyphonie der Renaissance, roh und zügellos. Im Wien des 19. Jahrhunderts wurde der extrovertierte Glanz von Rossinis komischen Opern gegen die verrätselte Innerlichkeit von Beethoven’s späten Streichquartetten ausgespielt....“[1] Und die eklektische Musikwelt in Paris 1910, wo sich Cabarets, Oper und Jazzrhythmen verbanden und befruchteten stand Wien ebenfalls 1910 gegenüber, wo sich Künstler wie Schönberg vehement von der als einengend und dekadent wahrgenommenen bürgerlichen Kultur abgrenzten.
Das A&O Festival ist im Geist Paris 1910 näher als Wien, Rossini näher als spätem Beethoven und der Ars Nova verwandt, deren „A“ – die Messe – sich frech mit dem „O“ – weltlichen Melodien – verband. Indie Classical ist die Ars Nova des 21. Jahrhunderts: das „A“ – komponierte Musik in westlicher Tradition – verbindet sich mit dem „O“ – Indie Rock, Singer/Songwriter, Elektronik. Oder intellektuelle Substanz mit kommunikativer Kraft und pop-appeal.
Unsere Haltung ist pluralistisch: die ganze Bandbreite komponierten Schaffens ist förderungswürdig. Jedoch konstatieren wir ein Ungleichgewicht: qualitativ hochstehende genre-übergreifende und post-minimalistische Positionen im aktuellen Musikschaffen kommen im deutschsprachigen Raum zu kurz. Dem wollen wir mit Äpfeln und Oliven, oder Fischen und Vögel, oder eben dem A und O entgegen wirken und sind mit Alex Ross einverstanden, der schreibt: „Eine mögliche Richtung, welche die Musik im 21. Jahrhundert einschlagen könnte, ist die „grosse Fusion“: intelligente Popmusiker und extrovertierte E-Musik-Komponisten, die in etwa die gleiche Sprache sprechen.“[2]
Im ersten Jahr von A&O wird der Schwerpunkt auf Brooklyn gelegt. Denn die dort aktive Indie Classical[3] Szene ist wegweisend für die von Ross beschriebene „grosse Fusion“. So schreibt das Los Angeles Philharmonic Orchestra anlässlich seines Brooklyn Festivals 2013: „Something’s brewing in Brooklyn and, like fin de siècle Vienna or the Downtown Manhattan scene of the 1970s, it’s changing the face of music by blurring the lines between classical and popular, between rock and experimental, and between the concert hall and the nightclub. It’s a neighborhood that’s crackling with enough creative energy to demand attention (...) The LA Phil’s Brooklyn Festival offers a view across the East River into what’s become New York’s most dynamic borough.“[4] Wenn Brooklyn’s Indie Classical Welt für Los Angeles neue Trends setzt, darf es das für Zürich durchaus auch und so freuen wir uns auf ein spannendes, beglückendes Festival!“
About A&O von Judd Greenstein, Ko-Kurator A&O, Artistic Director New Amsterdam Records
"The Apples&Olives festival represents an important new development in contemporary music: three musician-led organizations from two separate continents, each bypassing traditional cultural hierarchies, here come together for the first time across the Atlantic to jointly curate a festival. My organization, New Amsterdam Presents/New Amsterdam Records, is an artists’ service organization that supports the public’s engagement with new music by composers and performers whose work is open to all influence, regardless of genre, and is grounded in musical traditions of depth and substance. The artists that we brought to Switzerland in the first edition embody this ideal, with the perfect example found in the song cycle, Penelope, by Sarah Kirkland Snider (co-director of New Amsterdam) with vocals by Shara Worden. Shara Worden is well-known for her incredible band, My Brightest Diamond, but she is also a classically-trained singer who herself recently composed an opera and was the featured soloist in Gorecki's Third Symphony. In Penelope, Sarah Kirkland Snider brought together her extensive classical training and skill with a deeply-honed understanding of indie rock song styles and forms. The result is a cycle for orchestra and vocalist that reads simultaneously as an intricate song cycle and a gripping indie rock album.
Another group that was featured, NOW Ensemble, is a perfect representative of the new American chamber music sound of the 21st century. NOW Ensemble is a performer/composer hybrid of seven members, including a five-member chamber quintet with the unique instrumentation of flute, clarinet, electric guitar, double bass, and piano. Having premiered over 70 works in the past 10 years, NOW has created a new body of work that spans our generation, including music by Nico Muhly, Missy Mazzoli, Timo Andres, and many more, as well as their own "house" composers: Mark Dancigers, Patrick Burke, and me. Our contribution to the Apples and Oranges festival will include the Swiss premiere of Plan of the City, an animated video by Joshua Frankel with live music that I composed for NOW Ensemble. We appear in the film, which has us departing from planet Earth to the sounds of my piece, "Change". This work is emblematic of a new, outward-looking multidisciplinary approach to art-making that engages new audiences with complex, original artwork.
Both New Amsterdam and I are excited to partner with Etienne Abelin and Nik Bärtsch, who are engaged in much of the same activity as we are, but in Switzerland. We have been opening each others' ears to new work from our respective countries and we intend to do the same for the festival audience. For me and for my organization, this is a unique opportunity to bring our vision of a post-genre musical landscape to a completely new set of ears."
Von Ynight zum A&O, von Rebekka Meyer und Julia Bachmann von classYcal
„So richtig Spass haben uns die Ynights bis jetzt gemacht. Hier, wo klassische Musik im lockeren Ambiente eines Clubs stattfindet, ist das musikalische Anliegen von ClassYcal eingelöst – dass wir damit auf viel Resonanz gestossen sind und ermutigende Erfolge feiern konnten, hat uns gefreut und unser Vorgehen bestätigt. In Zürich und Bern fanden bereits eine ganze Reihe solcher von ClassYcal organisierten Ynights statt und es werden schweizweit weitere folgen. Zudem haben uns diese Veranstaltungen inspiriert und motiviert für mehr: ein eigenes Festival.
Die Ynights bieten einerseits eine ungewöhnliche Stilkombination von Location und Musikgattung und andererseits eine Plattform für Musik, welche sich genau an dieser Kreuzung ansiedelt und kreativ mit unterschiedlichen Musikrichtungen jongliert. Da Gattungsdiskussionen erst mit einer gewissen zeitlichen Distanz klar geführt werden können, wollen wir nur einen Benennungsversuch der in unserem Fokus stehenden Musik aufzeigen. Viele begeisterte Klassikhörer erkennen die andauernde Relevanz der sogenannten klassischen Werke, welche zu einem Kanon gehören. Wie und von wem dieser Kanon zusammengestellt wird, wie auch der Stellenwert eines solchen, ist ein vieldiskutiertes Thema in der Musikwissenschaft. Begriffe wie Werktreue werfen die Frage auf, wie autoritär die Formen der von uns bekannten Musikstücke sind. Eine mögliche Betrachtungsweise der Problematik identifiziert den musikalischen Text als Material, das auch bewusst in einen zeitgenössischen Kontext gestellt werden darf. Ob das nun den musikalischen Text an sich oder die Aufführungspraxis dessen betrifft ist hier insofern irrelevant, weil beide Praktiken in der provisorischen Bezeichnung des Indie Classical enthalten sind. Vom englischen Sprachraum kommend ist Indie Classical (unabhängige Klassik) ein Bezeichnungsversuch für die von prägenden Riten befreite klassische Musik.
Im Willen vom Finden dieser Bezeichnung sehen wir eine Chance, die Welt der klassischen Musik zu öffnen und zu demokratisieren – freilich ohne die bestehende Szene zu entwerten. Da die Relevanz der klassischen Musik im Mittelpunkt steht, diese jedoch neu kontextualisiert werden soll, ergibt sich eine Kontinuität, welche auch im zeitgenössischen kompositorischen Bereich beobachtet werden kann. Indie Classical ist vor allem in den USA und da in New York ein fest etabliertes Phänomen im Musikleben. Shara Worden, Judd Greenstein oder Missy Mazzoli sind Künstlerinnen und Künstler, welche am Schnittpunkt von Klassik, Jazz und Rock komponieren – vom bekannten Musikpublizisten Alex Ross wurde der Begriff des „genre-bending“ dafür geprägt. In der Schweiz steckt dieses genre-bending noch in den Kinderschuhen, ist aber trotzdem kein völlig unbekanntes Ethos – Komponisten wie Nik Bärtsch experimentieren seit Jahren an dieser genre-erweiternden Grenze. Apples&Olives will diesen musikalischen Bereicherungen einen Platz bieten.
Mit dem sollte aber nicht nur ein Trend unterstützt werden. Wir sehen die Notwendigkeit eines Festivals, wo hiesige Künstler mit den etablierten Musikern in Dialog treten können. Auf diese Weise lässt sich die Schweiz als Schaffensterrain erschliessen und in einen internationalen Kontext stellen. Das Festival ist also einerseits ein bis jetzt fehlendes Glied zwischen der internationalen, gefestigten Szene und den vielversprechenden, lokalen Komponisten, und andererseits auch ein wichtiges Element für eine nachhaltige Kulturpolitik: Kompositionsaufträge sollen junge Schweizer Talente fordern und fördern und in einem Panelgespräch wird die so dringende Frage um die zukünftige Entwicklung der klassischen Musik und ihrer Aufführungspraxis zum Thema werden.
In diesem Sinne entwickelt sich auch die Forschung der Musikpädagogik, welche den Wert von kreativen Musikerfahrungen durchaus als fördernswert bezeichnet. Letztere versteht Musik als Handlung, welche, je differenzierter sie stattfindet, das Ausdrucksvermögen und somit das Wahrnehmungsvermögen steigert. Mit den einzigartigen Klangwelten, welche Apples&Olives unterstützen will, öffnen sich somit nicht nur Ausdrucksmöglichkeiten für Künstler, sondern es entsteht auch ein klarer Mehrwert für das Publikum. Die lokale, kulturpolitische Ebene kann ihren Pioniergeist unter Beweis stellen ohne ein grosses Risiko einzugehen, denn die internationale Szene bestätigt schon, dass das Genre, welches als Indie Classical bezeichnet werden kann, das A&O ist, gerade weil es sich nicht klar in eine klassifizierbare Schublade stecken lässt und somit ‚weder noch’ – oder auf English: Apples&Olives – ist.“
[1] Alex Ross: „The Rest is Noise: Das 20. Jahrhundert hören“, S. 598/599
[2] Alex Ross: „The Rest is Noise: Das 20. Jahrhundert hören“, S. 598
[3] http://pitchfork.com/features/articles/8778-indie-classical/
[4] http://www.laphil.com/tickets/brooklyn-festival